Eigentlich befinde ich mich im Moment in einer Art Winterschlaf. Ja, ich verlasse hin und wieder das Haus, ich wasche mich auch regelmäßig und wechsle meine Kleidung. Ehrlich!
Ich bin sogar produktiv und stelle mit meinen Business-Partnern gerade ein neues Unternehmen auf. Aber der Tagesablauf ist derart runterreduziert, dass ich mir vorkomme wie ein Gerät auf Standby. Oder ein Film auf Wiederholung. Jeden Tag passiert in etwa das Gleiche. Ich bin auf einer nicht enden wollenden Wanderung, im Nebel.
Ich sehe meine Füße, wie sie sich nebeneinander herbewegen...links rechts links rechts. Ich höre die immer gleichen Geräusche, aber ich sehe keinen Ausblick, keine Umgebung, keinen Gipfel. Als wäre alles oder so vieles, was mich sonst umgibt, beschäftigt, unterhält, bespaßt und belebt einfach mal ausgefadet, weg, in sanften Nebel eingehüllt.
Mein sonst so randvoll angefülltes Leben fährt runter. Es fastet und wirft mich auf mich selbst zurück. Und wisst Ihr was?
Ich mag das.
Ich mag es, weil es wie ein Real-Life-Retreat ist. Ich kann mich mal in Ruhe dabei beobachten, wie ich auf Unausweichliches und Unwägbares, auf Eintöniges und Reduziertes reagiere. Welche Strategien tauchen auf? Welche Gedanken, welche Gefühle? Kämpfe ich gegen den Zustand an, rede ich ihn schön, fülle ich ihn künstlich auf? Sediere ich mich, lenke ich mich ab? Oder genieße ich das dolce far niente, das sich zwischen Home Office und Home Schooling, zwischen Wäsche, Supermarkt und Firmengründung ergibt?
Zwischen den Aufgaben entstehen Lücken und Freiräume - und zu meiner Überraschung verweile ich inzwischen gern in ihnen, ohne sie direkt mit etwas füllen zu müssen.
Es ist wie ein immer tiefer werdendes Einsinken in das pure Sein, ein sich Hingeben oder Hineingeben in das Leben, ohne etwas verändern oder kontrollieren zu müssen. Kontemplativ wie eine Wanderung, erdend wie eine Meditation, beruhigend wie ein Gebet.
Vielleicht ist das, was wir gerade erleben, tatsächlich eine sehr lange kollektive Meditation und sie trägt den Titel „im So-Sein verweilen“. Dann könnte man sich mal „hineinsetzen“ in alles, wovor man sonst flüchtet, was man sonst betäubt, kontrolliert, verändert, anfüllt. Alle unangenehmen Gedanken und Gefühle, die man sonst wegdrücken will, könnte man wie in einer Meditation mal „so sein lassen“ wie sie sind. Und sie einfach beobachten. Die Leere könnte man mal so sein lassen, ohne sie permanent randvoll auffüllen zu müssen.
Die Menschen und sich selbst könnte man mal schweigend und staunend betrachten und einfach so sein lassen. Und auch die Zeitlupe, die gefühlt stattfindet, könnte man so sein lassen wie sie gerade ist: Ein zäher, langer Kaugummi. Man könnte ihn mit Neugier betrachten, so wie man das als Kind getan hat, ihn zwischen Daumen und Zeigefinger langziehen und bei aller Zustimmung zum So-Sein der Menschen und Dinge eines erkennen: was alles schon da ist und mal in Ruhe gesehen, willkommen geheißen und gewürdigt werden will.
Denn diese Meditation ist endlich. Und vielleicht ist sie DIE Gelegenheit für eine wichtige Erkenntnis: das Innehalten und Betrachten. Bevor das Leben wieder an uns vorbeirauscht.
Wir werden uns garantiert schon bald wieder beschleunigen, beschäftigen, betäuben, bewegen und wieder an uns selbst und den anderen „vorbeileben“.
Und dann könnte es sein, dass wir zurückdenken und uns fragen: Wieso haben wir die Eintönigkeit und Entschleunigung nicht ein wenig mehr genossen? Wo sie schon mal da war. Warum uns nicht ein wenig mehr gelangweilt und in das So-Sein hineingegeben?
Manchmal ertappe ich mich dabei, dass mich der herannahende Frühling etwas irritiert. Deshalb: Pst! Ich werde jetzt noch ein bisschen meditieren und sinnieren. Über das So-Sein der Dinge. Und was ich gerade alles nicht tun und nicht haben muss. Und wenn es dann wieder lauter und schneller wird, habe ich diesen Ort der Ruhe und Stille so sehr in mir erzeugt, dass ich ihn für immer und immer wieder besuchen kann - egal, was gerade alles im Außen geschieht oder nicht geschieht.
Vielleicht ist jetzt die Zeit, in der wir diesen Ort in uns erkennen und entdecken können - wo er doch die ganze Zeit da ist und im Trubel des Alltags so leicht übersehen wird.
Patrizia